von Schaumburg nach Schaumburg…..

„Schaumburg schall et heiten“.

Aus Fürstentum und Grafschaft wanderten zwischen 1831 und 1914 fast 8000 Menschen in die USA aus. Ca. 100 Männer, Frauen und Kinder kamen in der Zeit von 1845 und 1847 nach Illinois in einen kleinen Ort namens Sarah’s Grove, aus dem dann 1850 das Schaumburg Township wurde.

Mein Name ist Hermann Heinrich Pfingsten
Die Geschichte einer Siedlerfamilie
Jürgen Watermann

Ich bin 1816 geboren und wir schreiben heute das Jahr 1846. Meine Frau Sophia, 1817 geboren, ist eine geborene Schütte. Seit unserer Hochzeit vor sechs Jahren hat uns Gott der Herr drei Kinder geschenkt – Sophie, Engel und Heinrich.

Wir bewirtschaften unseren Hof nach bestem Wissen und Gewissen. Wir kommen aus, aber es bleibt nichts übrig, um etwas zu sparen. Denn neben meiner eigenen Familie muss ich den Mann meiner Mutter und meine Mutter, die Lichthards, mitversorgen. Und man muss sich immer auf eine schlechte Ernte wie im letzten Jahr einstellen. Das letzte Jahr war ein trauriges Jahr. Kein Regen im Mai, der Juni und Juli verregnet. Aber wir sind noch rumgekommen. Und das bisschen, was wir uns mit der Leinenweberei dazu verdienen, wird auch immer weniger. Die Engländer können in ihren Fabriken alles viel billiger und schneller herstellen.

Aber ich will nicht stöhnen, anderen geht es noch viel schlechter; wir haben ja noch unseren Hof und es geht uns eigentlich gut.

Ich habe mich jetzt entschlossen, nach Amerika auszuwandern. Ich verkaufe meinen Hof. Dort drüben kann ich mit dem Geld bestimmt was Größeres kaufen und wir werden unabhängig vom Grundherren sein. Ich will mein eigener Herr sein und nicht nach der Pfeife eines anderen tanzen müssen. Das ist für mich der wichtigste Grund. Frei sein.

Ich habe schon mit Freises, Johann und Engel mit ihren beiden Kindern, gesprochen. Sie wollen auch mit. Sie wünschen sich wie wir wirtschaftliche Unabhängigkeit und wollen für die Kinder in der neuen Welt etwas Neues, Besseres für die Zukunft aufbauen. Wir werden in den nächsten Tagen aufs Amt nach Rodenberg gehen, wie und wann wir am besten reisen können und welche Papiere wir brauchen.

Es hat nur drei Wochen gedauert, um alle Papiere zusammen zu bekommen. Auch von Hammersteins haben sofort zugestimmt, als ich ihnen den Preis für den Hof nannte. Wir haben über 1.200 Reichstaler für das Land und das Haus bekommen. Es ist ein stolzer Preis, aber auch ein für beide Seiten fairer Preis. Damit haben wir, so glaube ich, in Amerika einen guten Anfang. Vorgestern waren wir beim Amt und haben die Kaufverträge unterzeichnet. Es war schon ein ganz komisches Gefühl.

Im Augenblick sind wir dabei, unsere Sachen zu packen. Was nimmt man mit, was braucht man, was muss leider zu Hause bleiben.

Als Reiseweg haben wir uns die Strecke über Stadthagen nach Petershagen an der Weser ausgesucht. Auf der Weser geht’s dann per Schiff nach Bremerhaven. Hoffentlich kommen wir dort pünktlich an, um nicht noch Geld für einen längeren Aufenthalt in einer Herberge ausgeben zu müssen. Wir haben beim Handlungshaus Buttel & Co. In Bremen einen Kontrakt für die Fahrt abgeschlossen. 143 Reichstaler hat es für uns fünf und Gepäck einschließlich Verpflegung gekostet.

Man hat uns bestätigt, dass es gesalzenes Ochsen- oder Schweinefleisch, Erbsen, Bohnen, Grütze, Reis, Sauerkraut, Kartoffeln und Obst gibt. Morgens und abends gibt es Tee oder Kaffee, Brot und Butter, sowie Trinkwasser. Alles soll hinreichend sein und gut schmecken. Wir lassen uns überraschen.

Was ich ganz vergessen habe: Wir haben einen Brief von Bögers aus Amerika bekommen, die sehr zufrieden sind mit dem, was sie vorgefunden haben. Sie konnten sich problemlos Land kaufen und sind ihre eigenen Herren. Ihre neue Heimat heißt jetzt Sarah’s Grove und liegt eine knappe Tagesreise von einer großen Stadt entfernt. Früher haben in Sarah’s Grove schon Engländer gewohnt. Die sind aber weiter nach Westen gezogen. Wir wollen auch nach Sarah’s Grove und sind sehr gespannt, was wir dort vorfinden.

Bremerhafen 8 Tage später..

Wir sind gut in Bremerhaven angekommen. Unser Jüngster, Heinrich, erst eineinhalb Jahre alt, hat bisher alles gut überstanden. Die beiden Mädchen, Sophie und Engel, haben auf dem Weserschiff eine Freundin gefunden, deren Eltern aus Frille kommen und auch nach Amerika wollen.  Verwandte der Eltern sind schon vor 1840 ausgewandert. Sie haben geschrieben, dass es ihnen gut geht – hoffentlich uns später auch. Uns allen fehlt die vertraute Umgebung; die Mädchen habe schon ein bisschen geweint.

Ich will jetzt zur Schiffsagentur und die für die Passage gebuchten Karten abholen.

3. Juli – Tag der Einschiffung

Gestern waren wir zur Untersuchung und haben anschließend unsere Papiere für Amerika bekommen.

Die Kinder werden langsam ungeduldig, wir stehen schon seit fünf Uhr hier. Jetzt geht es los, wir müssen aufs Schiff.

Es ist verdammt eng in unserer Kammer. Sechs Quadratmeter für 5 Personen. Rechts und links je zwei Kojen übereinander; der Kleine schläft bei meiner Frau. Gegessen wird gemeinsam im Vorraum. Bei gutem Wetter, haben sie uns gesagt, dürfen wir auch nach oben aufs Schiff. Mal sehen, wie wir es in diesen beengten Verhältnissen sieben Wochen aushalten.

Auf See

Die ersten beiden Tage hatten wir guten Wind – sagt der Kapitän. Alles ist sehr aufregend. Besonders die Kinder entdecken jeden Tag etwas Neues an Bord. Aber auch unsere Gruppe – wir sind fünfzehn, passt gut zusammen; alle wollen das gleiche. Obwohl wir mit Freises zu Hause kaum verkehrt haben, haben sich meine Frau und Engel Freise schon angefreundet.

Wenig später

Gestern sind wir durch den englischen Kanal gesegelt. Bis zur Hälfte ging alles gut; dann kam Sturm auf und wir mussten in einen Hafen. Hat uns fast einen ganzen Tag gekostet. Aber sicher ist sicher. Wir sind jetzt an der Nordwestecke von Frankreich und es schaukelt trotz Sonnenschein und mäßigem Wind doch erheblich. Für uns Landratten eben ungewohnt. Der Kapitän sagt, dass wir uns an der Grenze zum atlantischen Klima befinden und dort wäre das immer so. Wir sollten uns keine Sorgen machen.

Gott sei Dank –

Wir haben es geschafft. Die Biskaya liegt hinter uns. Sturm und schwere See waren unsere Begleiter. Warmes Essen gab es nicht – viele hätten es auch gar nicht vertragen. Mehrere haben die ganze Zeit nur in der Koje gelegen (mit Eimer). In knapp zwei Stunden werden wir in Gran Canaria anlegen, um Frischwasser und neue Nahrungsmittel aufzunehmen.

Zwei Tage

sind wir nun schon wieder auf See und es rührt sich kein Lüftchen. Etlichen bekommt das Klima nicht. Ihnen ist es zu warm, sie können nichts essen. Die Kleidung klebt, sie ist zu dick und zu eng. Die Kinder kommen besser klar, sie toben herum. Den Erwachsenen, die das freie Landleben kennen, wird das Schiff zu klein – alles wird zu eng. Mancher ist kurz vorm Verzweifeln.

Acht Tage

hat die Windstille gedauert. Jetzt haben wir schon seit einer Woche eine frische Brise und die Stimmung hat sich wieder gebessert. Es wurde auch Zeit. Zuletzt gab es große Spannungen zwischen den Leuten. Der Kapitän meint, in etwa 10 Tagen sind wir in New York.

New York

Der Kapitän hatte Recht. Kurz vor acht Uhr heute Morgen sind wir in New York, in Ellis Island, eingelaufen und müssen noch einen Tag auf dem Schiff bleiben. Die amerikanischen Beamten haben unsere Personalien aufgenommen.
Es war hilfreich, dass Freises und wir schon unser Ziel – Sarah’s Grove – angeben konnten. Daher durften wir auch schnell an Land, wo wir eingehend untersucht wurden. Da wir alle für gesund befunden wurden und in der Lage waren, Essen, Trinken und Unterkunft zu bezahlen, hat man uns nach nur zwei Tagen aus der Einwanderungsunterkunft abgeschoben.
Bögers hatten uns in ihrem Brief auf eine kleine Pension im deutschen Teil von New York hingewiesen. Das hat uns sehr geholfen, obwohl wir in dieser riesigen Stadt lange gesucht haben. So große Häuser und breite Straßen haben wir noch nicht gesehen. Die Mädchen haben den Mund vor Staunen nicht wieder zugekriegt.
Die Unterkunft ist zwar einfach, aber sauber und die Gastleute – auch Deutsche – sind sehr nett. Sie kennen sich mit Einwanderern aus. Auch Freises fühlen sich wohl. Manchmal – meine Sophia darf das gar nicht wissen – greife ich ihnen finanziell ein bisschen unter die Arme.
Nächste Woche wollen Freises und wir in Richtung Sarah’s Grove aufbrechen. Wir haben uns schlau gemacht. Der beste Weg ist mit dem Zug bis Buffalo und dann über die Seen mit dem Schiff bis Chicago. Von dort soll es dann nicht mehr weit sein.
Was ich ganz vergessen habe. Gestern sind die Springinsguths aus Algesdorf und Engelkings aus Apelern auch in unserer Pension angekommen. Sie wollen sich uns anschließen. Je mehr wir sind auf dem Weg, desto besser.

Sechs Wochen später

Wir sind in Sarahs Grove angekommen. Es gab ein großes Hallo. Die Familien Winkelhake, Böger, Hartmann und wie sie alle heißen, haben uns herzlich begrüßt und aufgenommen. Sie haben sich auf die Berichte aus der Heimat gefreut. Ihnen geht es allen gut. Sie haben alle ein großes Stück Land und kultivieren immer mehr. Schöne massive Holzhäuser, Kühe, Schweine und Federvieh ermöglichen ihnen ein sorgenfreies Leben. Ob wir das auch erleben dürfen?

Im Frühjahr 1847

Sophia und den Kindern geht es gut. Wir waren beim General Land Office, wo man uns 160 Acres Land, das wir abgesteckt haben, kostenlos zugeteilt hat. Wir müssen es nur 5 Jahre bewirtschaften, dann geht es in unser Eigentum über. Im Augenblick überlege ich noch, ob ich nicht pro Acres 1,25 $ bezahle, um die Frist auf 6 Monate abzukürzen. Die Nachbarn haben beim Bau unseres Hauses geholfen. Jetzt wird der Stall gebaut. Morgen gehen wir auf den Markt und kaufen ein Pferd, eine Kuh und ein paar Hühner. Damit haben wir die Grundlage. Zum einen können wir die Felder bestellen, zum anderen haben wir Milch und Eier.

Sechs Monate später

Es ist Samstagabend. Die Kinder sind im Bett. Sophia und ich sitzen auf der Terrasse. Wir sind müde. Es war wie immer ein anstrengender harter Tag. Aber wir haben uns in kurzer Zeit ein neues Zuhause geschaffen. Die Ernte war sehr gut. Noch zwei oder drei Jahre und wir können uns noch Land und Vieh dazu kaufen.
Morgen früh fahren wir zur St. Peter Kirche und danken dem Herrn im Kreise aller Familien, das er uns so reichlich beschenkt und beschützt hat.

Drei Jahre später

Unsere Farm ist jetzt 3000 Dollar wert. Für 1,25 $ pro Acres haben wir noch 150 Acres zugekauft. Wir haben jetzt über 300 Acres Land, 16 Kühe, 5 Pferde und 12 Schweine. Wir haben fast 1000 Bushels Weizen, Mais und Hafer sowie knapp 80 Zentner Kartoffeln geerntet. Es ist ein hartes, aber ein erfülltes und erfolgreiches Leben. Ich habe schon mit Sophia gesprochen. Ich glaube, die Milchwirtschaft ist die Zukunft und werde morgen nach dem Gottesdienst mal bei den Winkelhakes anfragen, ob ich noch 4-6 Kühe bei ihnen kaufen kann.

1850

Wilhelm Nerge und Heinrich Winkelhake haben alle Deutschen eingeladen, an der Versammlung des Townships nächsten Dienstag teilzunehmen. Als wir ankommen, sehen wir, das zweidrittel Deutsche sind. Aus dem Königreich Hannover und aus Preußen, aber auch viele Schaumburger – an der Sprache zu erkennen – die wir gar nicht kennen. Es geht darum, dass für das Township einem Namen zu finden. Es gibt lange Diskussionen. Die Anglo-Amerikaner wollen den Namen „Lutherville“ oder „Lutherburg“; hätten wir auch akzeptieren können, denn Luther war ja Deutscher. Dann, nach fast zwei Stunden, sprang Heinrich Nerge aus Reinsdorf auf und schmetterte mit fester Stimme „Schaumburg schall et heiten“. Alle waren schlagartig ruhig, aber die Abstimmung war eindeutig. Der neue Name unseres Townships war Schaumburg, wie daheim. Wir sind wieder zu Hause.

10 Jahre später

Das Leben ist ein ständiger Wandel. Insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse zwingen uns, umzudenken. Wir müssen uns noch mehr auf die Milchwirtschaft konzentrieren. Dank harter Arbeit und einem sparsamen Lebenswandel haben wir genug Geld, um neue Kühe zu kaufen und uns zu vergrößern.
Die beiden Mädchen sind schon im heiratsfähigen Altem. Ich sollte nach einem Deutschen für sie suchen. Das ist so hier bei uns, im deutschen Township Schaumburg. Wir bleiben unter uns und sprechen deutsch. Die Kinder gehen fast ausschließlich in eine unserer deutschsprachigen Schulen und haben auch nur deutsche Freunde. Na ja, das liegt vor allem daran, dass die meisten Amerikaner und nicht deutsche Europäer fortgezogen sind.

1865

Beide Mädchen haben geheiratet.
Sophie hat den ältesten Sohn der Hahnes geehelicht. Ihre Farm ist genauso groß wie unsere – eine gute Partie also.
Noch besser hat es Engel getroffen. Sie ist mit dem einzigen Sohn von Winkelhakes, die die größte Farm haben, verheiratet. In ein paar Wochen kommt das erste Kind.
Wir freuen uns sehr und sind stolz auf die Mädchen.
Unser Heinrich ist ein großer starker Mann geworden. Die Leute erzählen, er hat ein Auge auf Marie Biesterfeld geworfen. Es wäre schön, wenn das klappen würde, denn Biesterfelds zählen zu den angesehensten Familien im Township.
Dann muss ich mir auch bald Gedanken darüber machen, wann meine Sophia und ich uns aufs Altenteil zurückziehen. Natürlich helfen wir noch weiter mit – aber Heinrich soll bei seiner Hochzeit der Farmer – der Herr auf dem Hofe – sein. Ich glaube, wir haben ihm genug geschaffen, dass er mit seiner späteren Familie ein sorgenfreies und erfolgreiches Leben führen kann.

9. September 1878

 „Heute haben wir meinen Hermann zu Grabe getragen. Es ging alles so schnell. Er war nicht krank, ihm fehlte nichts. Er ist plötzlich umgefallen. Herzschlag, sagt der Doktor. Am stärksten hat es Johann und Christine, die Kinder von Heinrich und Marie getroffen. Der Opa war ihr ein und alles.
Sophia folgte ihrem Mann 4 Jahre später in das Reich Gottes. Sie musste aber noch miterleben, wie ihr Enkel Johann durch einen Unfall ums Leben kam. Ein Pferd hatte gescheut und Johann mit dem Huf am Kopf getroffen. Nur drei Tage später starb er – das war zu viel für Sophia.
1895 heiratete Sophias Enkelin Christine den Christoph Böger. Nach dem Tode ihrer Eltern bewirtschafteten sie die drittgrößte Farm im Schaumburg Township.
Christine starb ein halbes Jahr nach Ende des 2. Weltkrieges.

Nachwort

Die Kinder und auch die Enkel der deutschen Gründerfamilien – was waren sie?
Sie feierten die amerikanischen Nationalfeiertage ebenso wie das ihnen heilige Weihnachts- und Osterfest.
Sie verglichen sich innerhalb der USA; sie blickten nicht mehr nach Deutschland.
Die Kinder und die Enkel der Schaumburger Auswanderer hatten sich in die amerikanische Gesellschaft integriert.

Sie waren weder Deutsche noch Amerikaner, sie waren eine Mischung aus beiden – kurzum: Sie waren Deutsch-Amerikaner